Bo(o)tschaft

Text zum Thema Traum/ Träume

von  Moja

Eines Tages überraschte mich ein Bekannter mit einem Geschenk. Zum Dank, wie er sagte. Das Modell eines Rennsegelbootes mit schmalem Vorschiff, breitem Heck aus Birkenholzleisten und Segeln aus Nesselstoff. Ich stellte es auf den Tisch. Und da bemerkte ich die Bewegung und stutzte. Im Zimmer war es windstill, die Türen und Fenster geschlossen. Dennoch schwangen unaufhörlich die Segel hin und her. Ein Perpetuum mobile? Fasziniert schaute ich eine Weile zu, dann begann ich mich zu langweilen und beschäftigte mich mit anderen Dingen. Als ich später wieder an dem Schiff vorbeikam und die Segel noch immer in Fahrt waren, packte mich die Neugier. Ich löste Knoten, Leisten und Segel, nahm das Deck ab, durchsuchte den Innenraum der Kajüte, ja, ich nahm das Boot komplett auseinander. Und fand nichts. Nachdenklich baute ich es wieder zusammen. Das Boot war tot! Ich hatte den Mechanismus zerstört.

Im Nebenhaus befand sich ein Antikgeschäft mit einer Reparaturwerkstatt, vielleicht wussten sie dort Rat. Als ich die Tür öffnete, erklang ein zartes Glockenspiel. Nie zuvor war mir das Café im vorderen Bereich aufgefallen, in dem an Kaffeehaustischchen vereinzelt Afrikaner saßen, Studenten, vertieft in ihre Lektüren. Leise ging ich an ihnen vorbei, tiefer hinein in das Geschäft, vorüber an Vitrinen mit Schmuck, wertvollem Porzellan, antiken Objekten, Vintage Möbeln, Kommoden und Truhen. Das Interieur gefiel mir, hier würde ich demnächst Kaffee trinken, nahm ich mir vor.

Die Inhaberin winkte mich einladend heran und rief ihren Mann nach vorn. Flüchtig betrachtete er mein Boot. Für fünf Euro fünfzig könne er es reparieren, es dauere aber eine Woche oder zwei. Erst da fielen mir ähnliche Modelle im Regal mit hin und her schwingenden Segeln auf. Ich muss recht verständnislos ausgesehen haben, denn grinsend zeigte er auf ein Schälchen mit winzigen Würmern. Sie trieben die Segel an. Ich verspürte leichten Ekel. Wir tauschten noch ein paar freundliche Floskeln, ich ließ das Boot da und ging. Draußen überfielen mich Zweifel. Tierquälerei dachte ich und – was wurde hier eigentlich verkauft? Und wieso schenkte er mir ein Boot, in dem ein Wurm war?



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Kommentare zu diesem Text


 KonstantinF. (19.04.24, 13:11)
Das können doch nur Holzwürmer gewesen sein, oder? ;)

Gruß vom Konstantin

 AZU20 meinte dazu am 20.04.24 um 11:11:
Denke ich auch. LG

 Moja antwortete darauf am 20.04.24 um 11:54:
Vielleicht? Um genaueres zu erfahren, müsste ich noch einmal "nachträumen"...  :)

Danke und Grüße an Konstantin und AZU20!
Moja

 FrankReich (19.04.24, 13:25)
Tja, ist erst einmal der Wurm drin, grübelt es sich ausgezeichnet über alles und jeden, aber sei optimistisch, vll. sind es ja einfach nur Elektrowürmer. 🤗

Ciao, Frank

 Moja schrieb daraufhin am 20.04.24 um 11:59:
Vielleicht mit Photovoltaik? Manche Geschenke verraten mehr über die Beziehung zum Schenkenden;ja,  jedenfalls steckt der Wurm drin, Frank.
Grüße von Moja

 Saira (19.04.24, 14:40)
Tja, diese kleinen Winzlinge können viel Wind machen :D 

Liebe Grüße
Sigrun

 AchterZwerg äußerte darauf am 19.04.24 um 16:39:
Vor allem widrige Widderwinzlinge,

ahnt ein solcher

 Moja ergänzte dazu am 20.04.24 um 12:02:
Wow, widrige Widderwinzlinge, was für eine Spezies, Achter!  :)
Vielleicht treiben diese Würmer bald Windräder an, Sigrun,
wer weiß? 

Windige Grüße von Moja

 Saira meinte dazu am 20.04.24 um 12:11:

 tulpenrot (19.04.24, 14:49)
Auf solch lebendige Geschenke könnte ich gerne verzichten. Mir würde ein Segelboot ohne Mechanismus genügen, das man gefahrlos auseinander- und zusammenbauen kann. Und auch selber reparieren kann. Ohne Wurm. Lass das Segelboot sausen und komm zu mir, ich hab viele Modelle in meiner Vitrine zur Auswahl. Ich könnte da aushelfen.

Kommentar geändert am 19.04.2024 um 14:51 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 19.04.24 um 16:33:
Auch eins in einer Flasche?
Dann komme ich auch!

Drohende Grüße
der8.

 tulpenrot meinte dazu am 19.04.24 um 16:58:
Ja, das gibt es auch. Kannst also kommen.

 Moja meinte dazu am 20.04.24 um 12:05:
Wir eilen zu deinem Hafen, liebe Angelika, 
auf einen lustigen Segelnachmittag!  <3 :D

Liebe Grüße, 
Moja

 FrankReich meinte dazu am 20.04.24 um 16:49:
Eine Flasche mit Mezcal hast Du dann aber wahrscheinlich nicht vorrätig, denn da wäre auf jeden Fall der Wurm drin. 😂

Ciao, Frank

 Kardamom (19.04.24, 15:32)
Faszinierend, die Gallerensklaven verwandelten sich in Würmchen. Aber kommen wir zum Preis für die Reparatur, das muss einn Traum sein...

 Moja meinte dazu am 20.04.24 um 12:06:
Es ist ein Traum! 
Das Boot und den Bekannten samt Wurm bin ich los... :D
Wurmfrei grüßt und dankt,
Moja

 GastIltis (19.04.24, 15:59)
Hallo Moja,
natürlich sind das gar keine echten Würmer. Du hast in Wirklichkeit einen Flohzirkus geschenkt bekommen, in dem die Akteure noch arbeiten, d.h. gearbeitet haben. Du hast sie aus dem Rhythmus gebracht. Entweder brauchen sie Nahrung, ein paar Tropfen Blut, oder die „Würmer“ sind mit spezialgenetischen Inhalationsstoffen präpariert, und du kennst die weiteren Verfahren nicht, wie auch immer. Der Preis rechtfertigt zumindest einen zeitweiligen Weiterbetrieb (ohne Garantie). Vorsicht ist geboten.
Herzlich Gil.

 Moja meinte dazu am 20.04.24 um 12:22:
Stell dir vor, lieber Gil, meine eben geschriebene Antwort an dich - ist weg! Sabotage! Irgendwo kriechen scheinbar noch ein paar Segelwürmchen herum... Dabei hatte ich mir deine Warnung zu Herzen genommen und das Boot einfach nicht mehr abgeholt, denn damit kenne ich mich doch nicht aus. Da ist tatsächlich der Wurm drin!
Schnell noch ein paar herzliche Grüße an dich,
Moja

 AchterZwerg (19.04.24, 16:38)
In Antiquitätenläden leben Holzwürmer vermutlich wie im Paradies!
Man kann nur hoffen, dass die Kaffehausstühle nicht zusammenbrechen. Sonst heißt es wieder: Alles Rassisten! 
Oder Bildungsferne. Oder Liebhaber ökologisch einwandfreier Eiweißkost.

Heutzutage weiß man nie ...

 Moja meinte dazu am 20.04.24 um 12:11:
Prussst!  :D :D :D

 Graeculus (19.04.24, 22:38)
Ich mag diese Traumreihe, an der Du ja schon längere Zeit arbeitest. Einfach so als Einblick in die Arbeit unseres Gehirns, wenn es gleichsam frei schwebt. Ohne das deuten zu müssen oder zu wollen.

 Moja meinte dazu am 20.04.24 um 12:18:
Danke, Graeculus! 
Ja, um die Deutung geht es mir weniger, auch wenn ich mir einige absurde Stellen zusammenreimen kann - Reste aus dem Tagesgeschehen, Erinnerungen, Erlebtes - spannend bleiben vielmehr für mich die überraschenden, absurden Wendungen, über Jahrzehnte hinweg gesammelte Einblicke in das Unbewusste. 
Grüße von Moja

 Dieter_Rotmund (22.04.24, 11:29)
Große Klasse der Text! Bitte mehr davon in dieser Art!

 Moja meinte dazu am 22.04.24 um 12:45:
Großes Dankeschön!
Mal sehen, was sich träumen und schreiben lässt...
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