Der verlockende Widerspruch

Essay zum Thema Gerechtigkeit/ Ungerechtigkeit

von  EkkehartMittelberg

Widerspruch ist als Salz der Demokratie unentbehrlich. In meiner Jugend war es noch ein Wagnis, Autoritäten zu widersprechen. Heute gilt dies als selbstverständlich und das ist ein Fortschritt, den kaum noch jemand bezweifelt. Dennoch gibt es neben dem Widerspruch, der hilft, die Wahrheit hervorzutreiben, eitlen unbegründeten oder schlecht begründeten Widerspruch, den jemand äußert, um sich wichtig zu tun. Natürlich wird so ein Wichtigtuer das bestreiten und das letzte Wort behalten.
Wahrscheinlich wurde jeder schon einmal mit einem Widerspruch konfrontiert, von dem er besten Wissens und Gewissens den Eindruck hatte, dass er um seiner selbst willen geäußert wurde. Aber psychologisch betrachtet gibt es den unbegründeten Widerspruch nicht. Ich komme darauf, weil ich mich neulich in diesem Zusammenhang wieder an die Geschichte von Aristides und dem Scherbengericht erinnerte.
„Der Athener Aristeides […] war ungefähr ein Altersgenosse des Themistokles, weshalb er mit diesem um den höchsten Einfluss im Staat rang, denn ihre Bestrebungen standen einander entgegen. An ihnen konnte man aber wahrnehmen, um wie viel die Beredsamkeit der Rechtlichkeit überlegen ist. Obwohl sich nämlich Aristeides durch Uneigennützigkeit dermaßen auszeichnete, dass er allein seit Menschengedenken, so weit wenigstens meine Kunde geht, den Beinamen des Gerechten trägt, wurde er dennoch von Themistokles gestürzt und durch das bekannte Scherbengericht mit einer Verbannung von 10 Jahren belegt (485 vor Chr.). Und zwar soll er, als er einsah, dass die gegen ihn aufgereizte Menge nicht zu besänftigen war, den Widerstand aufgegeben haben und als er einen bemerkte, der auf seinem Täfelchen für seine Verbannung aus dem Vaterland stimmte, diesen gefragt haben, warum er das tue oder was denn Aristeides verbrochen habe, um ihn so harter Strafe für wert zu achten. Hierauf erwiderte jener, er kenne Aristeides gar nicht, aber es wolle ihm nicht gefallen, dass er so eifrig danach gestrebt habe, vor anderen den Namen des Gerechten zu erhalten.“ (Quelle Cornelius Nepos)                                                                                                                                                                            Nach einer anderen Überlieferung soll sich Aristides sogar selbst verbannt haben, weil er, gebeten von einem des Schreibens unkundigen Bäuerchen., Aristides auf die Scherbe geschrieben habe.
So wie das Bäuerchen die unbestrittene Gerechtigkeit des Aristides nicht ertragen konnte, können manche es nicht ertragen, dass einige ohne Verstöße gegen die Logik argumentieren. Sie suchen also deren Texte mit Fleiß nach Schwächen ab. Wenn sie keinen rational vertretbaren Widerspruch finden, konstruieren sie eben einen. Auch wenn ihnen insgeheim bewusst ist, dass der, dem sie widersprechen, recht hat, ist der Widerspruch verlockend, damit der, dem sie widersprechen, geschädigt wird. Solche dem Widerspruch aus Prinzip Verfallene werden immer Beifall bei denen finden, die die Gerechtigkeit des Aristides nicht ertragen können oder dass einer zu oft die gedankliche Klarheit auf seiner Seite hat.                                                                                                                                                                                              Sie werden einwenden, dass sich die Wahrheit auf Dauer trotz törichter Widersprüche aus Missgunst immer durchsetzen wird. Mag sein, aber nicht alle, die es verdient haben, erleben, dass ihnen Gerechtigkeit zuteil wird, so wie Aristides, der verbannt wurde.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (18.06.20)
Nach einer anderen Überlieferung soll sich Aristides sogar selbst verbannt haben, weil er, gebeten von einem des Schreibens unkundigen Bäuerchen., Aristides auf die Scherbe geschrieben habe.
Wenn ich mich recht erinnere, geht die Anekdote so, dass der des Schreibens Unkundige, auf Aristeides Frage, warum er für die Verbannung stimme, geantwortet hat: "Ich kennen diesen Aristeides nicht. Mich stört nur, dass er ständig 'der Gerechte' genannt wird."

...zuweilen tritt einen der eigene Ruhm in den Hinter,,,

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.06.20:
Danke, Trekan, schau bitte noch einmal nach: Die von dir ergänzte Variante ist meine erste.
Es ist nachvollziebar, dass einen der eigene Ruhm schädigt, wenn er sich auf Egoismus gründet. Aber Aristides war ja wohl ohne jede Manipulation gerecht.

 AchterZwerg antwortete darauf am 18.06.20:
Mein Trekanchen wieder! :)

 TassoTuwas (18.06.20)
Hallo Ekki.
eigentlich hat sich seit dem nichts geändert.
Aus heutiger Sicht ist es doch so, nicht die beste Idee wird ihren Weg machen, sondern die, hinter der die bessere PR-Agentur steht.
Gegen die Kunst der Manipulation, äußerliche Eindrücke, spektakuläre Inszenierungen, Showeffekte, bis hin zu Video-Clips, haben, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit schwer zu argumentieren.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 18.06.20:
Merci,Tasso. Es ist so, wie es das Sprichwort sagt: Die Welt, sie will betrogen sein.
Herzliche Grüße
Ekki

 HerrSonnenschein (18.06.20)
Sehr erhellend. Danke dafür!

Liebe Grüße

Jörg

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 18.06.20:
Danke, Jörg. Ich freue mich immer, wenn du dir Zeit für meine Texte nehmem kannst.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (18.06.20)
Ein solcher Mensch, der Gerechtigkeit ausstrahlt, hat es auch heute sehr schwer, wenn er auch nicht mehr durch das Scherbengericht muss, dafür droht ihm anderes Ungemach. LG

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 18.06.20:
Danke, Armin, das stimmt, weil es auch heute Menschen gibt, die tugendhaftes Verhalten (Gerechtigkeit ist nur e i n Beispiel) einfach nicht ertragen können.
LG
Ekki
Sätzer (77)
(18.06.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.06.20:
Merci, scheinbar ist es mir geglückt, zwischen berechtigtem und unberechtigtem Widerspruch zu differenzieren.
LG
Ekki

 Graeculus (18.06.20)
Es ist schön, etwas Kluges über die Antike zu lesen.

Über Themistokles gibt es die Anekdote, er habe, als ihn ein Kontrahent in der Hitze der Diskussion geschlagen hatte, geantwortet: "Schlage mich, aber hör mir zu!"

Keine Rede von einem Duell, wie es im 19. Jhdt. bei einer solchen Szene unumgänglich gewesen wäre.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.06.20:
Merci, Graeculus .Du zitierst einen der geistreichen Widersprüche aus der Antike. Von denen kann es nicht genug geben.
wa Bash (47)
(18.06.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.06.20:
Merci, je mehr man fragt, desto mehr Widersprüche werden offenbar.

 AchterZwerg (18.06.20)
Der Beiname des Gerechten macht ja auch aus jüdischer Tradition Sinn und wird sicherlich mit Stolz getragen.
Leider ist es nicht so, dass der Gerechte ständig siegt (im Grunde eher selten) doch ändert dies gar nichts.
Wer möchte schon in der eklen Welt der Missgünstigen leben? Niemand.
Aber man muss es wohl und denkt sich seinen Teil.

[Berechtigte Kritik nehem ich jedoch von der vermuteten Missgunst aus. ]

Liebe Grüße
der8

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.06.20:
Grazie, Picola, diesmal kann ich mir Widerspruch sparen, weil wir in allen Punkten übereinstimmen.
Liebe Grüße
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(19.06.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.06.20:
Merci Sigi, dein Kommentar vertieft meine Essay ganz in meinem Sinne.
Herzliche Grüße
Ekki
Agnete (66)
(20.06.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.06.20:
Danke, Agnete, die Welt hat sich seit denj alten Griechen nicht von Grund auf geändert. Aber die Geschichte von Aristides und dem Bäuerchen, das dessen Gerechtigkeit nicht ertragen kann, bleibt für mich etwas Besonderes.
LG
Ekki

 harzgebirgler (03.10.20)
der wahrheit licht ist vielen unerträglich
drum trüben sie es gerne ein unsäglich
stell'n sich stattdes als große leuchten dar
was aber selten unverfänglich war.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.10.20:
Danke, Henning. Das trifft den Kern meines Essays.
LG
Ekki
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