Haben klassische literarische Werke noch eine Zukunft?

Essay zum Thema Wertschätzung

von  EkkehartMittelberg

Es gibt zeitlose Werke. Homer. Sophokles. Sie mögen nicht in jeder Epoche das gleiche Ansehen genießen ... aber sie kommen immer wieder.“ Graeculus)


Bisher habe ich der Feststellung von Graeculus immer geglaubt, aber meine Zweifel wachsen.

Bis vor einem Jahrzehnt gehörte Goethes „Faust“, der Klassiker schlechthin, zum Kanon der Oberstufenlektüre im Deutschunterricht. Jetzt stellen deutsche Bildungspläne diese Lektüre frei. Es geht mir nicht darum, ob man diese Entscheidung rechtfertigen kann, sondern darum, welche Folgen sie für das langfristige Überleben des Klassikers hat.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es langfristig eine ausreichend große Zahl junger LeserInnen gibt, damit dieses Werk in der Erinnerung bleibt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es nach ein paar Generationen aus dem kollektiven Gedächtnis verschwindet.

Ich bin auch skeptisch, was die Überlebenskraft der Tragödien von Sophokles angeht, denn diese beziehen ihren Reiz aus dem Konflikt zwischen irdischen und göttlichen Geboten, der tragisch endet. Mit dem rapide sinkenden Einfluss der Religionen im christlichen Abendland wird aber das Verletzen religiöser Sanktionen immer weniger Menschen berühren, so dass die tragische Spannung der Tragödien des Sophokles nur akademisch nachempfunden werden kann. Hinzu kommt, dass sie im Deutschunterricht der Gymnasien, der sie bekannt gemacht hat, kaum noch eine Rolle spielen.

Es fällt mir schwerer, meine Skepsis gegenüber Homers Werken aufrechtzuerhalten, obgleich auch sie im Schulunterricht nur noch eine geringe Rolle spielen. Aber ihrer sinnlichen Schönheit und der hohen Handlungsspannung, deren Verständnis keiner besonderen Vorbildung bedarf, kann sich kaum jemand entziehen. Dennoch bleibt die Frage, wo begegnen junge Menschen Homer, wenn nicht auf der Schule?

Klassische Werke schleifen die Extreme ab. Das heißt nicht, dass sie in klassischen Werken nicht vorkämen, aber die Intention des Klassischen zielt darauf ab, Extreme zugunsten einer allgemein verbindlichen Mitte zu überwinden. Auf Goethes „Prometheus“ und „Ganymed“ folgte „Grenzen der Menschheit.“ Die Medien heute erziehen aber zu einer Sensationskultur, die sich um sittliche Vollkommenheit, die Klassik anstrebt, weniger kümmert als um Nachrichten, die stets nach neuen sensationellen Reizen suchen. Wenn sich das ändern sollte, müsste unsere kapitalistische Gesellschaft von Grund auf dahingehend geändert werden, dass humane Werte wirklich ernst genommen werden. Wirkt nicht Der Mensch sei edel, hilfreich und gut“ heute nur noch als Phrase?

Ich kann eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, die Bedürfnisse nach klassischer Literatur erneuert, nicht erkennen, lasse mich aber gerne davon überzeugen, dass ich zu pessimistisch schwarz sehe.




Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (23.11.22, 02:37)
Auf Messen begegnet man schon überall diesen kleinen Robotern. Auch in einem Restaurant bediente mich schon so ein Kerlchen. Sie werden auch in der Alten- und Krankenpflege eingesetzt (in Japan schon lange) und was hindert daran, diesen Wesen unsere Klassiker einzuprogrammieren. Sie können vorlesen, aber auch unterrichten. Nur, wer begeistert unsere Programmierer für diese Stücke. 
Als Technik-Freak und Liebhaberin unserer Klassiker sehe ich da schon Zukunft.
Liebe Grüße
Alma Marie

 AngelWings meinte dazu am 23.11.22 um 13:02:
Das sind auch Hilfe Roboter! Und die werden von Menschen programmiert, also ohne Menschen geht es nicht.

 HerzDenker (23.11.22, 02:54)
Lieber Ekkehart, zum Rückgang der Religionen: Der Dalai Lama meinte, sie würden verschwinden, aber Ethik würde bleiben. Das sehe ich auch so. Die von Dir ins Spiel gebrachten Aspekte der Klassiker betreffen doch sehr stark das Ethische...

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 23.11.22 um 08:42:
Merci HerzDenker. Wie begründet der Dalai Lama seine Zuversicht auf das Bleiben der Ethik?
Ich bezweifle, dass lauwarme Ethik Sophokles mit seinen Tragödien überleben lässt.

 HerzDenker schrieb daraufhin am 25.11.22 um 06:50:
Lieber Ekkehart, dies kann ich mir nur so denken: Wie wir uns im menschlichen (und gegebenenfalls auch göttlichen) Zusammenhang verhalten sollten, dürfte doch jedem Menschen oberhalb des Ballermann-Niveaus als zeitlos-wichtiges Anliegen erscheinen. Zufriedenheit und Glück werden -individuell wie gesellschaftlich- doch sehr stark davon abhängen.

 AchterZwerg (23.11.22, 07:03)
Lieber Ekki,
ich teile deinen Pessimismus ganz und gar.
Dies hat auch mit dem Zurückweichen menschlicher Intelligenz zu tun, das ich allenthalben beobachten muss.

Piccola

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 23.11.22 um 08:58:
Grazie, Piccola, du sagst ja nicht, dass menschliche Intelligenz verkümmert, sondern, dass sie zurückweicht. Das ist der springende Punkt. Wer ist denn heute noch bereit, für die humanen Botschaften klassischer Werke zu kämpfen? Das mag daran liegen, dass sie das größte Problem unserer Zeit, eine Menschheit, die sich selbst zu vernichten droht, nicht erfassen.
Ekki

 RainerMScholz ergänzte dazu am 28.11.22 um 21:43:
Das mag auch daran liegen, dass alle humanistische Ethik und Intelligenz die größte Tragödie unserer Zeit nicht zu verhindern vermochten; im Gegenteil, dass die Perfidie der Intelligenz das Disaster noch vergrößerten; und danach sei kein Gedicht mehr möglich, jedenfalls nicht so, wie Gedichte geschrieben wurden, als Weimar nicht um die Ecke von Buchenwald gelegen hat.
Grüße,
R.

 lugarex (23.11.22, 07:12)

Im Jahr 1968, dem “grossen” Jahr der Barrikaden und Co., war überall auf den Wänden von Zürich eine geheimnisvolle (für mich) Botschaft zu lesen: ”Nur Stämme werden überleben!", manchmal mit der Aufforderung “Frei Sicht zum Mittelmeer”, was wenigstens ein wenig Sinn für mich gegeben hat.  

Keine Vision von IT, damals, geschweige vom Internet! Oder wie der große Graeculus sagen würde "Pantha rheï”! (Oder neulich vielleicht Heraklit zitieren: Der Krieg aber „ist aller Dinge Vater, aller Dinge König“ )
Und der große Weintrinker und Dichter von kaiserlichem China Li Po hat geschrieben: (Suche schon seit Jahren verzweifelt den Originaltext, leider bis heute nicht  nicht gefunden!)
“...in Bambussen, gekräuselten durch Wind, rauscht ein Wasserfall und wird still…
“...das Glitzern des Schnees erlischt in der Sonne…nur die Schrift, die ich da male, die ist ewig!”

Krieg schenkte uns u.a. Internet und so kann jeder Anal-phabet schreiben und wir haben Hoffnung, dass auch die Klassik überlebt…die “neue” wenigstens.

Grüssend Luga - Nur Stämme werden überleben!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 10:41:
Gracias, Luga, du bringst damit einen neuen Aspekt in die Diskussion, dass du von neuer Klassik redest. Sie wird gewiss entstehen und wie die alte Klassik längere Zeit überdauern. Ich glaube aber nicht, dass die alte Klassik, durch Sophokles repräsentiert, überleben wird, weil die Zahl derer, die göttliche Gebote und Orakelsprüche fürchten, immer geringer wird. Dier Konflikte von Antigone und Ödipus sind historisch interessant, aber nicht mehr die Konflikte unserer Zeit.

 FrankReich (23.11.22, 08:08)
Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr auch das kollektive Gedächtnis, doch wie Alma Marie bereits andeutete, gibt es heutzutage Speichermedien, auf die auch zukünftig zurückgegriffen werden kann, die Frage ist allerdings, ob dazu denn auch die Notwendigkeit besteht. 🤔

Ciao, Frank

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 23.11.22 um 10:48:
Also schön sind diese Kerlchen schon. Klassik neu verpackt käme zumindest bei mir gut an, bei Kindern sowieso (wenn nicht die Karla Kolumna vorgezogen wird)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 10:51:
Merci, Ralf, du triffst den nervus rerum der Diskussion. Nach dem Muster von Wikipedia werden die Speichermedien mit den alten Klassikern gefüttert, aber die Frage ist doch, ob zukünftig außer einzelnen Gelehrten eine repräsentative Zahl von LeserInnen das Bedürfnis hat, sie abzurufen. Nur so würden sie wirklich am Leben erhalten.
Servus
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 11:06:
Hand aufs Herz, Alma Marie. Klassik neu verpackt kommt auch bei mir gut tan. Aber ist es nicht so, dass wir uns für die neue Verpackung interessieren, weil wir die alte kennen?
Die Bad Hersfelder Festspiele werben mit "König Lear" in neuer Verpackung. Ich bin sicher, dass die Besucher in erster Linie wegen König Lear erscheinen und in zweiter Linie wegen der neuen Verpackung.
Meine These: Wenn ein Klassiker die Probleme unserer Zeit nicht mehr im Kern erfasst, nützt auf die Dauer die modernste Verpackung nichts.

 Saira (23.11.22, 08:32)
Lieber Ekki,
 
ich kann mir vorstellen, dass Schüler und Studenten, die im Unterricht klassische Werke lesen, zunehmend Probleme mit Satzbau und Sprache haben. Es wird schwieriger sein und werden, Schüler dafür zu begeistern.
 
Wahrscheinlich wird sich der Unterrichtsstoff vermehrt auf Themen unserer heutigen Zeit konzentrieren. Ich denke an die alltäglichen Dinge, wie Steuer, Versicherungen, Miete und besonders in Bezug auf unser globales Klima, Energiekrisen, Weltpolitik. Dafür werden zusätzliche Unterrichtsstunden notwendig werden. Soweit ich weiß, liegt alleine hier schon ein großes Problem zugrunde. Es gibt Statistiken, die besagen, dass in Deutschland zwischen 30.000 und 40.000 Lehrkräfte fehlen würden.
 https://www.sueddeutsche.de/politik/lehrer-unterrichtsausfall-meidinger-fachkraeftemangel-1.5647547
 
In manchen Bundesländern sollen Schüler im Verlauf ihrer Schulzeit bis zum Abitur nur einen Klassiker gelesen haben müssen.
 
Ich fürchte, dass deine Prognose stimmen könnte.
 
Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 11:25:
Vielen Dank, Sigi, so ist es. Zum einen unterliegt der Literaturunterricht als Vermittler klassischer Werke selbst einem Verdrängungswettbewerb und zum anderen bieten Lehrkräfte lieber moderne Literatur an, von der sie wissen, dass sie die SchülerInnen nicht aufwändig an die Sprache und die Probleme heranführen müssen, sondern dass diese mit ihren Fragen sofort "zündet". Man könnte einwenden, dass das schon immer so war. Das stimmt aber nicht, weil es kaum noch Bildungspläne gibt, die die Lektüre von Klassikern verpflichtend machen.

Liebe Grüße
Ekki

 AngelWings meinte dazu am 23.11.22 um 14:05:
Sprach und Schriftlehre!

 DanceWith1Life (23.11.22, 08:38)
hallo Ekko
du sagst, im Prinzip, its the singer, not the song.
aber die dramatischen Bausteine der von Dir angesprochenen Klassiker finden ja eigentlich überall ihre Plätze, Bausteine, Entwicklungen, und jede Generation wollte nur neue Gewänder, Figuren, Masken und Bühnenbilder.
Wir, also als Literaturbeseelte sollten uns vielleicht überlegen, welche Faktoren drin sein müssen, und was durchaus wandlungsfähig wäre, nicht nur zum Nachteil der erzählten Geschichte,
Neuinterpretationen können auch lang überhörtes endlich ans Tageslicht fördern.
Soll heißen, Liebe, Sehnsucht, Intrigen, Leid, Verlust, Tod und all die anderen Zutaten, ergeben nur  dem zeitgenössischen Geschmack angepasste Speisen.
Was wäre wenn eine gut erzählte Geschichte, da beginnt, wo die Erkenntnisse des Autors lebendig sind.
Oder sollten wir uns fragen, was Homer gelesen hat, bevor er die Odyssee oder Illias schrieb.


Kommentar geändert am 23.11.2022 um 11:34 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 11:43:
Gracias, Dance, es stimmt schon, dass Neuinterpretationen und entsprechende Inszenierungen einiges zum Überleben der Klassiker beitragen. Aber sie sind letztlich nicht entscheidend. Sie überleben, wenn sie dem Leser/Zuschauer spontan das Gefühl vermitteln: Hier wird deine Sache verhandelt. Wenn man ihm erst erklären muss, dass es seine Sache ist, sinkt sein Interesse erheblich.

 DanceWith1Life meinte dazu am 23.11.22 um 11:54:
Genau das ist der Hintergrund der Frage, welches die wesentlichen Faktoren sind.
Meiner Beobachtung nach hat jede Zeit ihre eigenen "Hörgewohnheiten", wenn man das mal so nennen will. Also mehr die sprachliche Umsetzung als der Inhalt.
Taina (39)
(23.11.22, 09:03)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 12:26:
Merci, Taina,
diesmal ist meine Wahrnehmung anders als deine. In den fünfziger bis siebziger Jahren fühlten sich die öffentlich rechtlichen Programme an den Festtagen verpflichtet, einen Klassiker anzubieten. Heute sind sie den Meisten nur  noch dem Namen nach bekannt, die Möglichkeiten der Begegnung werden, angefangen mit den Schulen, immer geringer. Wer von hundert Befragten hat heute schon einmal eine Aufführung von Sophokles gesehen? Die bloße Kenntnis der Namen von Klassikern wird irgendwann Schall und Rauch werden.
Es stimmt, dass Muslime noch den Konflikt zwischen Religionsangeboten und Lebenswirklichkeit durchleben. Deshalb bezog ich mich bewusst auf das christliche Abendland.
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 12:37:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.22 um 12:02:
Liebe Taina, es gibt diesen Dornröschenschlaf. Aber der Schlaf und das Erwachen daraus hat ja ökonomische und gesellschaftliche Ursachen. Ich wäre erst hoffnungsvoll, wenn ich Anzeichen dafür sehen würde, dass unsere Gesellschaft, die wie nie zuvor triviale Unterhaltung sucht, aus diesem Dornröschenschlaf erwacht.
Leider ist es so, dass sich auch Kitsch und Konvention an eine menschliche Grundsubstanz wenden. Unter welchen biographischen Umständen befriedigt der Leser seine Grundsubstanz-Bedürfnisse mit Kunst und wann begnügt er sich mit Konvention oder Kitsch?
Kurz: Ich sehe keine rationalen Gründe für eine Renaissance der Klassik.

 Regina (23.11.22, 10:57)
Zu deiner Frage: Man weiß es nicht. Unvermittelt kann sich die Tendenz wieder ändern und die Klassiker kommen wieder in Mode.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 12:37:
Liebe Regina,
fraglos gibt es solche überraschenden Wenden, wenn die gesamtgesellschaftlichen und historischen Verhältnisse sich ändern.
Aber welche Fingerzeige siehst du heute angesichts der Bedrohung durch Umweltkatastrophen und weltwirtschaftliche Desaster (Überbevölkerung-Ernährung),  dass die Klassiker, die diese Probleme meines Wissens nicht thematisieren, wieder in Mode kommen?
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 13:09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus (23.11.22, 12:24)
Das ist einm hochinteressanter Text, auf den ich gerne ausführlich eingehen möchte. Leider weiß ich noch nicht, wann ich die Zeit dazu finden werde. Ich mache mir einen Knoten ins Taschentuch.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 12:39:
Mein Text läuft nicht weg und ich freue mich schon jetzt auf deinen Kommentar, Graeculus.

 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 18:05:
Nun versuche ich es einmal - wobei ich den Eindruck habe, daß inzwischen schon andere (z.B. Dieter Wal) Wichtiges gesagt haben.

Der "Faust" verschwindet als Pflichtlektüre aus der Schule. Das wußte ich nicht, überrascht mich jedoch auch nicht. Homer, Aischylos, Sophokles und viele andere Autoren, die ich zum klassischen Bildungsstandard rechne, haben dieses Schicksal ja bereits erlitten.

1. Sind das mehr als Wellen, als Modeerscheinungen? Verschwinden sie dauerhaft aus dem Unterricht? Das wissen wir noch nicht.

2. Was wir aber wissen, ist, daß es noch andere Wege der Bildungstradition gibt: Filme etwa, Online-Spiele, Romane (soweit noch gelesen) etc. Junge Menschen können also auf andere Weisen mit dem Trojanischen Krieg, dem Ödipus-Mythos und dem Faust-Stoff in Berührung kommen. Ist es nicht möglich, sogar wahrscheinlich, daß der eine oder andere dann den Entschluß faßt, einmal in das "heilige Original" zu schauen?
(In China, so habe ich gelesen, sind die drei großen Romane der dortigen Tradition allesamt in höchst populären Computerspielen präsent.)

3. Möglich ist das noch, denn alle diese Bücher sind auf dem Buchmarkt erhältlich. Unmöglich wird es erst dann sein, wenn es keinen Buchmarkt mehr gibt und das "Wissen" aller auf das Wikipedia-Niveau abgesunken ist. Nichts gegen Wikipedia, aber ich meine: wenn man nicht mehr wissen will, als dort steht.

4. Soweit ich den Buchmarkt überblicke, tauchen immer noch und immer wieder Adaptionen der klassischen Stoffe auf. Die Odyssee? Kaum zu zählen. Jetzt ganz neu Julian Barnes mit einer Verarbeitung der Figur des Julian Apostata in einem Roman. Zugegeben, diese Autoren gehören noch unserer Generation an, haben die "Classics" studiert, und man weiß nicht, ob das noch für die Folgegeneration gelten wird. Aber ich habe die Hoffnung, daß der Pakt mit dem Teufel, der Kampf von 300 Spartanern gegen ein 100000-Mann-Heer, die schier endlose Reise eines Mannes nach Hause zu seiner Frau, die unwissentliche Ehe eines Mannes mit seiner Mutter, daß all dies ein zu guter Stoff ist, um verloren zu gehen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 20:05:
Gracias Graeculus,
deine Beispiele für den Fortbestand klassischer Literatur sind sehr gut und ich gestehe, dass ich von dir als profundem Kenner dieser Literatur nichts anderes erwartet habe.
Doch wir Disputanten hier müssen als Liebhaber der Klassik einräumen, dass wir hoffnungsvoll Beispiele für eine Zukunft der Klassik sammeln. Doch wir sind eine kleine Schar und gesamtgesellschaftlich für die Diskussion dieser Frage nicht repräsentativ,
Als advocatus diaboli gehe ich dir dies zu bedenken: Ich war als Schüler in Hamm Mitglied eines Leserings, der sich der klassischen Literatur verschrieben hatte. Dieser Leseclub bestand ausschließlich aus jungen Leuten.
Ein Klassenkamerad von mir leitet jetzt einen Lesering in Bonn, der sich ebenfalls der klassischen Literatur widmet. Er besteht nur aus hochbetagten Senioren. Das kann Zufall sein. Ich halte es eher für zeittypisch.
Wir können die Frage, ob klassische Literatur eine Zukunft hat, letztlich nur mit Vermutungen beantworten. Aber schon, dass sie gestellt und so lebhaft diskutiert wird, wirkt lähmendem Pessimismus entgegen.

 Dieter Wal meinte dazu am 24.11.22 um 02:25:
Die ursprüngliche Antwort wurde am 24.11.2022 um 04:30 Uhr wieder zurückgezogen.

 Graeculus meinte dazu am 24.11.22 um 13:01:
Daß Dein Essay eine ausgesprochen lebhafte Reaktion hervorgerufen hat, zeigt immerhin, daß die Klassiker nicht dermaßen tot sind, daß sie nicht einmal mehr als Gesprächsthema taugen.
Allerdings vermag ich nicht abzuschätzen, wie viele jüngere Leute hier teilnehmen und wer von ihnen ihn tatsächlich noch gelesen oder auf der Bühne erlebt hat, den Faust.

Noch eine andere Frage, der man sich stellen muß. Was kann der Faust uns heute noch sagen? Worin liegt seine Bedeutung für uns, für alle?
Darauf gibt es sicher eine Antwort. Der faustische Mensch ist alles andere als unmodern. Das muß man potentiellen Lesern allerdings auch vermitteln. Und der Mephisto, ist auch der noch aktuell?

 Dieter Wal meinte dazu am 24.11.22 um 13:29:
Sprach (vor 30 Jahren...) u. A. mit Faust an Schauspielschulen vor.

Trotz zunehmender Kirchenaustritte in beiden volkskirchlichen Konfessionen bei steigender Tendenz birgt die Geschichte des Magiers Faust nach wie vor einen Archetyp: der einsame Sinnsucher, der kritische Hinterfrager, der Okkultist, ein Typ, der nicht dem Mainstream folgt, sondern sich an zweifelhafte Typen wendet und der doch seinen Sinn bis zuletzt findet. Dabei ist auch ein rücksichtloser Egoist vorgebildet, der über Leichen geht (Gretchendrama, Philemon und Baukis). Faust ist keineswegs so edel, wie er meist inszeniert wird.

Die Redewendungen aus Faust sind so zahlreich wie die der Bibel in unserer Umgangssprache.

Antwort geändert am 24.11.2022 um 14:19 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 24.11.22 um 13:33:
Mephisto unterhält zur Zeit mehrere Beraterpraxen. Eine im Kreml, eine in Kiew (weiß nicht, wie der Regierungssitz heißt), eine im Pentagon und in Nordkorea soll er auch was am laufen haben, in Teheran sowieso, Peking ...
EU? ... könnte sein.

Im Übrigen hat auch Lenau einen Faust geschrieben.

Antwort geändert am 24.11.2022 um 13:37 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 24.11.22 um 13:47:
Es stimmt, auch der Mephisto hat etwas Zeitloses.

Der Faust-Stoff ist ja viel älter als Goethe, und nach Goethe gibt es u.a. "Faust - Der Tragödie dritter Teil" von Fr. Th. Vischer.

 Dieter Wal meinte dazu am 24.11.22 um 14:18:

 LotharAtzert meinte dazu am 24.11.22 um 14:46:
Auch Vitali Klitschko verdient ... eine Faust, hätt ich fast gesagt. Nein, der Mann hat endgültig meinen Respekt!

 Dieter Wal meinte dazu am 24.11.22 um 14:57:
Wo ist Dein Faust, Loddar?

 LotharAtzert meinte dazu am 24.11.22 um 15:16:
Ich habe ihn, Dieter, nach dem Vorblid des tantrischen Buddhas Padma Sambhava, für spätere Generationen gut versteckt. Zu gegebener Zeit werden die Finder der Schrift davon träumen, wo sie ihn - den Text - finden :O

 Dieter Wal meinte dazu am 24.11.22 um 15:23:
:woot:

 HerzDenker meinte dazu am 25.11.22 um 06:59:
Stimme dem Dieter in Bezug auf die bleibende Sehnsucht nach den Urfragen des Menschseins zu. Etwa umgekehrt zu dem Kircheneaustritten gibt es einen Trend zur Spiritualität (oder der kommerzialisierten und leider von Tiefe wenig berührten Form davon, der Esoterik), der auch das Interesse an unseren Klassikern wachhalten wird.

Antwort geändert am 25.11.2022 um 07:03 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.22 um 17:04:
@Graeculus: Zur Frage der Aktualität von Klassik: In den meisten Fällen lässt sie sich positiv beantworten. Für Mephisto zum Beispiel steht das für mich außer Frage. Aber dieser Befund kann vortäuschen, dass Klassik überlebt, denn nach der Aktualität fragen ja nur die, die sich ohnehin für Klassik interessieren und wenn die nicht mehr da sind, wer tut es dann? Sicher, man mag einwenden, die breite Masse habe mit Klassik nie etwas im Sinne gehabt. Aber die breite Masse wird immer breiter.
Gleichwohl werde ich mich ungeachtet meiner Skepsis für das Überleben der Klassik einsetzen wo immer sich eine Gelegenheit bietet.

 AngelWings (23.11.22, 13:05)
Bei Studien, für alt schrift! Werden auch Literatur unter Lupe genommen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.22 um 13:33:
Zu Dieter Wal. Vielen Dank für die aufschlussreichen Texte, die du zu dieser Diskussion beisteuerst Können so interessante Adaptionen wie die von Wille die Klassik retten? Ich bleibe skeptisch. Die Hersfelder Festspiele werben mit einer Neuinterpretation von "König Lear". Das erschließt aber keine neuen Besucher, sondern hält allenfalls die bei der Stange, die sich schon immer für Shakespeare interessiert haben.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.22 um 17:58:
@ Dieter Wal. Zwei wichtige Befunde von dir zu Goethes Faust möchte ich noch einmal unterstreichen:
1. Faust ist tatsächlich ein rücksichtsloser Egoist und
2. Aus dem Faust wird eben so viel zitiert wie aus der Bibel, aber die Wenigsten wissen es.

 Artname (23.11.22, 13:08)
Die Medien heute erziehen aber zu einer Sensationskultur, die sich um sittliche Vollkommenheit, die Klassik anstrebt, weniger kümmert als um Nachrichten, die stets nach neuen sensationellen Reizen suchen.
Dem stimme ich zu. Aber war das je anders?Sterben die Klugen etwa aus? 

Mit dem Internet bieten sich mir viel mehr Möglichkeiten als früher, mich von den Poeten und Philosophen der Gegenwart irritieren oder gar leiten zu lassen. Ist man bei denen angelangt, wird man wiederum sehr oft automatisch zu den historischen Denkern der Menschheit verlinkt. Die Klassiker von Morgen berufen sich häufig auf die Klassiker von Gestern. 

Wen diese Wege zu umständlich sind, der treibt eben im Mainstream. Da hat sich nichts geändert.

Meiner Meinung nach berufen sich große Denker nicht so oft auf ihre Schulzeit. Hm…. sie brauchten sogar meist einige Jahre, um sich von den Mantras ihrer gestressten Lehrer zu erholen…

Oder? 

Jedenfalls in meinem  Netz verschiedenster Blasen finde ich viel Trost und Anregung bis zurück zum
vermeintlichen Urknall… :)

Kommentar geändert am 23.11.2022 um 13:15 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 13:58:
Gracias Artname, ich denke nicht, dass heute mehr Menschen mit einem geringeren Intelligenzquotienten geboren werden als früher. Entscheidend ist die Intensität der Anregungen. Da scheint mir, in den Massenmedien Unterhaltungsliteratur immer mehr Raum zu gewinnen.
Etwas Mut macht mir deine berechtigte Feststellung, dass neue Klassik auf ältere Klassik verweist. Aber die Frage ist, ob dies als Gegengewicht gegen die alles überflutende Unterhaltungsliteratur ausreicht.

 Artname meinte dazu am 23.11.22 um 15:43:

Da scheint mir, in den Massenmedien Unterhaltungsliteratur immer mehr Raum zu gewinnen.


Ich denke, dass anspruchsvolle Literatur von denen gelesen wird, die sie gerade brauchen. Wen DAS betrifft, entscheidet das Leben. 

Mein Browser jedenfalls bietet, was mein Herz begehrt. Literatur, Literatur-Foren, Interviews, Vorlesungen, Tutorials. Ein derartiges, oft kostenloses, Bildungsangebot ist einmalig in der Entwicklung der Menschheit! 

Was wissen wir aber über die Popularität von Goethe zu dessen Lebenszeit? Heute kennt ihn jedes Kind. Welche Schichten kannten ihn aber damals? Derartige Fragen stellen sich von Epoche zu Epoche neu. Ich sag es mal so: Im vorigen Jahrhundert wuchs das Interesse an Goethe u.a. auch, weil sich (nach 2 WK) das deutsche Volk seine Zugehörigkeit zum Volk der Dichter und Denker „gewaltsam“zurück erobern wollte oder gar musste… 

… um mal etwas Zunder in die Diskussion zu bringen

Antwort geändert am 23.11.2022 um 15:47 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.22 um 17:34:
Hallo Artname: da siehst du etwas Richtiges, das Bildungsbürgertum hat die Klassik schon immer benutzt, um das Image aufzupolieren.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.22 um 17:44:
@Lothar Atzert
Zu Mephistos Beraterpraxen: Der Geist, der stets verneint, ist in unserer Zeit präsenter als die Suche nach dem, was sie in ihrem Innersten zusammenhält.

 LotharAtzert meinte dazu am 01.12.22 um 11:34:
Ja Ekki, doch Quantitäten zeigen nur unsere Abhängigkeit von äußeren Faktoren. Wir mögen vom Herzschlag abhängig sein, aber dasjenige, was das Herz und sein Schlagen universal bedingt (Qualität), ist nicht von menschlicher Willkür abhängig.

Hat nicht Novalis einmal auf die Frage, wohin wir gehen, mit "immer nach Hause" geantwortet?
In diesem Sinne grüße ich dich und das Universum.

 AngelWings (23.11.22, 13:15)
Warum habe so Angst um alr Literatur. Die werden alle in Hauprechner, des Literatur Biotheke erfasst und gespeichert, was in USA und Deutschland steht.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 16:46:
In den Rechnern steckt viel Literatur, die tot ist, weil sie weder gelesen noch diskutiert wird.
Es geht hier auch nicht um Angst, es geht nur um die Frage, ob die These stimmt, dass die alte Klassik als zeitlose Literatur weiterleben wird.

 AngelWings meinte dazu am 24.11.22 um 18:04:
Warum nicht, natürlich leben es weiter! Es gibt's Film über alt Literatur unter auch werden Game oder Musikstücke, die alte Literatur wieder spiegelt werden.

 Augustus (23.11.22, 13:50)
„Edel, hilfreich und gut“ entspricht dem heutigen Zeitgeist als: „Arbeiten, Steuern zahlen, braver Bürger sein.“

Die Arbeit veredelt den Menschen, denn er ist eine Ressource. Hilfreich ist ein Mensch erst dann, wenn er Steuern zahlt. Gut ist er erst dann, wenn er gegen das Regime nicht rebelliert. 

Also, so gesehen, ist das Zitat keine Phrase, sondern wird heutzutage sogar gelebt. 

Salve

 AngelWings meinte dazu am 23.11.22 um 14:08:
Steuer nehmen so Regierung ein, wir Bürger sehen davon nicht.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 16:53:
Danke Augustus, die Klassiker hätten deiner Umdeutung des Zitats wohl nicht zugestimmt, aber sie passt zum heutigen Zweckrationalismus.

 Dieter Wal (23.11.22, 14:18)
Dennoch bleibt die Frage, wo begegnen junge Menschen Homer, wenn nicht auf der Schule?
In Homer Simpson.



„»Das ist Strandgut«, sagt der alte Vetter, und seine Hand gleitet liebkosend über die abgegriffenen Rücken seiner langen Bücherreihe, »Strandgut; denn fast alles sind Antiquaria! Die einstigen Besitzer sind gestorben, verschollen, zugrunde gegangen; ihre Bücher sind in alle Welt getrieben, behende und geschäfskundige Leute fischten sie wieder auf und haben sie verkauft; nun stehen sie hier eine Weile zusammen, bis ihrem jetzigen Besitzer das gleiche Los fällt...«“
 Theodor Storm: Eine Halligfahrt, 1872


So wird es auch uns und unseren Bibliotheken ergehen. Das Zitat erweckt Lust, endlich wieder Storm zu lesen.


„Einmal hörte ich von Agnon, der bekanntlich gerne Geschichten erzählt, er habe von einem anderen Weisen gehört, man habe dem Maimonides erzählt, Rabbi Abraham ben David (genannt Raved) hätte tausend Einwände gegen sein Buch ,Mischne Tora' verfasst, worauf Maimonides antwortete: ,Möge dieser Mann in guter Erinnerung bleiben dafür, dass er einige Stellen in meinem Buch ohne Einwände belassen hat!'“
Anekdote aus einer Rede  Scholems (1897-1982) zum 70. Geburtstag von  Samuel Agnon 1958


Wäre es wirklich so schlimm, wenn der Bildungsauftrag auch der Oberschulen nicht so weit führt, dass die Mehrheit der Klassen humanistische Bildung erlangt, sondern höchstens die dafür nötigen intellektuellen Werkzeuge erlangt, sie bei Interesse für sich zu erwerben? Vielleicht bleibt Bildung bei Lehrern und Professoren, doch bilden sie immerhin Schüler und Studenten heran, die teilweise Gelehrte werden.

Ich bin davon überzeugt, dass Romane wie "Die letzte Welt" (Christoph Ransmayr, 1988) Interesse für Ovid wecken. Selbst mittelmäßige Filme wie "Narziss und Goldmund" machen auf Hesses Lebenswerk aufmerksam, der selbst eifriger Gelehrter wurde. Ecos "Der Name der Rose" brachte nicht nur den von Poe erfundenen Detekivroman zur höchsten Blüte, sondern weckt nebenbei Verständnis für Kirchengeschichte und Theologie. Ferner entfacht er Bibliophilie.

Leser von Wolfram von Eschenbachs Parzival in der wundervollen Übersetzung mit Einführung Dieter Kühns finden zum Gralsepos, entdecken vielleicht Walther von der Vogelweide.

Es ist bedauerlich, dass Goethes Faust nicht mehr Pflichtlektüre ist. Doch dürfte dies den Faust-Inszenierungen keinen Abbruch tun und damit das meisterliche Drama Goethes immer wieder neue Leser finden.

Recht sehr zu wünschen, wenn dagegen Marcel Reich-Ranickis "Mein Leben" Pflichtlektüre an sämtlichen Schulen würde, denn er schreibt damit nicht wenig über den klassischen Bildungskanon für deutsche Schulen, von dem alle viel lernen könnten. Das gehört in meinen Augen neben Anne Frank.


„Daran erkenn ich den gelehrten Herrn: Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern; Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar! Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr; Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht, Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht!“
 Goethe  Faust II A I, Saal des Thrones / Mephisto V. 4917f., 1832

Goethe selbst lässt hier durch Mephisto einen tiefen Pessimismus über Gebildete seiner Zeit zu Wort kommen, denen nach seinem Gefühl zu viel Aufklärung nicht gut tat.

Solange "Der Meister und Margarita" (Michail Bulgakow) gelesen wird, wird auch Faust gelesen.


„Wenn es keine Bücher gäbe, wären wir alle völlig roh und ungebildet, denn wir besäßen keinerlei Kenntnisse über das Vergangene, keine von göttlichen oder menschlichen Dingen. Selbst wenn wir irgendein Wissen hätten, so gliche es den Sagen, die durch die fließende Unbeständigkeit mündlicher Überlieferung tausendmal verändert wurden. Welch göttliches Geschenk sind also die Bücher für den Menschengeist! Kein größeres könnte man sich für ein Leben des Gedächtnisses und des Urteils wünschen. Sie nicht lieben heißt die Weisheit nicht lieben. Die Weisheit aber nicht lieben bedeutet, ein Dummkopf zu sein. Das ist eine Beleidigung für den göttlichen Schöpfer, welcher will, dass wir sein Abbild werden.“
 Johann Amos Comenius: Über den rechen Umgang mit Büchern, den Hauptwerkzeugen der Bildung. 28.11.1650



„»Alle Bücher, die geschrieben wurden, vom ältesten bis zum jüngsten, stehen in einem geheimnisvollen Zusammenhang. Denn sieh, keiner, der ein Buch geschrieben, ist durch sich selbst geworden, was er uns ist, jeder steht auf den Schultern seiner Vorgänger. Alles, was vor ihm geschaffen wurde, hat irgendwie dazu geholfen, ihm Leben und Geist zu bilden. Und wieder was er geschaffen, hat irgendwie andere Menschen gebildet, und aus seinem Geist ist in spätere übergegangen. So bildet der Inhalt aller Bücher ein großes Geisterreich auf Erden, von den vergangenen Seelen leben und nähren sich alle, welche jetzt schaffen. In diesem Sinne ist der Geist des Menschengeschlechts eine unermeßliche Einheit, der jeder einzelne angehört, der einst lebte und schuf, und jetzt atmet und Neues wirkt. Der Geist, den die vergangenen Menschen als ihren eigenen empfanden, er ging und geht jeden Tag in andere über. Was heut geschrieben ist, wird morgen vielleicht die Habe von tausend Fremden, wer längst seinen Leib der Natur zurückgegeben hat, lebt unaufhörlich in neuem irdischen Dasein fort und wird täglich in Tausenden aufs neue lebendig.«“
 Gustav Freytag: Die verlorene Handschrift, Buch II, 2. Kapitel, 1864

 AngelWings meinte dazu am 23.11.22 um 14:23:
In der Staatbiotheke! 
Für Studenten und Abitur!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 17:33:
@ Dieter Wal
Lieber Dieter, deine wundervollen Zitate zerstreuen einen Teil meiner Zweifel, denn sie verdeutlichen, dass die Klassiker indirekt weiterleben, weil wir alle auf ihren Schultern stehen.
Schwierig wird die Sache, wenn es darum geht, den direkten Kontakt zu ihnen aufrechtzuerhalten. Natürlich nicht für dich und die wenigen Freunde von Weltliteratur. Aber ihre Aktualität wird jungen Menschen nur ausreichen, wenn sie mit guten Ratschlägen zu den Klassikern geleitet werden, die sich zu ihren virulenten Problemen äußern. Das wiederum ist nur wenigen jungen Menschen vergönnt, deren soziale Herkunft Bildung begünstigt, und einigen Wenigen, die die schwierigsten Wege gehen können, egal, woher sie kommen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 17:33:
Die ursprüngliche Antwort wurde am 23.11.2022 um 17:36 Uhr wieder zurückgezogen.

 Didi.Costaire (23.11.22, 17:10)
Dennoch bleibt die Frage, wo begegnen junge Menschen Homer, wenn nicht auf der Schule?

Hallo Ekki,

da kann ich weiterhelfen: Das nächste Mal schon heute um 18.10 Uhr bei Pro Sieben.

Ansonsten würde ich deiner Einschätzung nicht grundsätzlich widersprechen. Die Zeiten ändern sich halt.

Schöne Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 17:41:
Vielen Dank, Didi, es scheint darauf hinauszulaufen, dass Klassik heute nur dann weiterleben kann, wenn die Massenmedien sich ihrer annehmen und junge Menschen Ratgeber finden, die sie auf die richtigen Quellen verweisen.

Liebe Grüße
Ekki

 Quoth (23.11.22, 17:59)
Ich überschütte die Ilias des Homer mit Kartoffelbrei und klebe mich an ihr fest.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 19:17:
Hilf mir bitte, Quoth, ich stehe auf der Leitung.

 Quoth meinte dazu am 23.11.22 um 22:06:

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 12:00:
Der Kartoffelbrei kann Helenas Schönheit nicht ruinieren.

 Dieter Wal meinte dazu am 24.11.22 um 12:11:
@ Quoth:

Ach, Du willst damit sagen, dass die von apokalyptischen Ängsten geplagten "Umweltaktivisten" bildungsferne Barbaren sind?

Es scheint sich um sehr dumme Jugendliche zu handeln, denen die mediale Wirkung auf ihr "Schaffen" verborgen bleibt: Sie verhindern dadurch nachhaltig, breiteren Bevölkerungskreisen bewusst zu machen, wie ernst der Klimawandel der letzten Jahre eigentlich sein dürfte.

 Quoth meinte dazu am 24.11.22 um 21:10:
To be or not to be, that is the question ...
(Da Jarina weiter unten Shakespeare angemahnt hat!)

 TassoTuwas (23.11.22, 18:16)
Hallo Ekki,
leider stehen Homer, Sophokles und auch Goethe gegen Amazon, Apple und Google auf verlorenem Posten!
Grund ist, Schule wird nicht mehr von Pädagogen gemacht, sondern von Parteifunktionären.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.11.22 um 19:25:
Vielen Dank, Tasso, ich habe bei meiner Mitarbeit an den hessischen Rahmenrichtlinien Deutsch in den siebziger Jahren erleben müssen, wie sehr Schule von Parteifunktionären gemacht wird. Das unwürdige Gezänk um die Bildungsziele war fernab der Kultur klassischer Literatur.

Herzliche Grüße
Ekki

 Tula (23.11.22, 21:30)
Hallo Ekki
Die Klassiker mussten bereits Generationen desinteressierter Schüler ertragen, da macht die heutige keinen großen Unterschied  ;)

LG
Tula

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 12:09:
Merci, Tula, ich bin mir nicht so sicher, ob es in früheren Schülergenerationen nicht auch Begeisterung für die Klassiker gegeben hat. Du wirst dazu bald einen Bericht von mir lesen: "Für die Klassiker kämpfen".

LG
Ekki

 GastIltis (23.11.22, 21:57)
Hallo Ekki,
dass dein Text viel Staub aufwirbelt, ist ein gutes Zeichen. Ich werde mich auch etwas ausführlicher dazu äußern. Aber leider ist es schon so, dass das Allgemein-Interesse abnimmt. Dass die Schulen ihren Anteil dazu beitragen, ist bedauerlich. Aber die Vielfalt der Lehrstoffe der heutigen Zeit, die schulisch zu erfassen sind, tun ein übriges.Aber wie gesagt, ich melde mich noch dazu.
Sei herzlich gegrüßt von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 12:15:
Merci einstweilen, lieber Gil. Du weißt, wie sehr ich deine differenzierten Kommentare schätze und ich freue mich sehr  auf die Ergänzung.

Herzliche Grüße
Ekki

 GastIltis meinte dazu am 24.11.22 um 12:51:
Lieber Ekki,
eigentlich hatte ich vor, etwas zu schreiben, wie man als verhältnismäßig ungebildeter Junge allein durch das Interesse an schönen Texten, Worten, Ereignissen, Erlebnissen und Begebenheiten sein Bildungsniveau an der Klassik oder Teilen daran verbessern und erweitern kann. Das werde ich mir auf Grund der Fülle der wirklich guten Beiträge ersparen. Dafür setze ich ein Lied ein, das ich früher einmal vertont habe und natürlich immer noch gern singe. Einen Klassiker!


Trinklied

Sei mir heute nichts zuwider!
Fühle mich so frank und frei;
Frische Lust und heitre Lieder,
Holt' ich selbst sie doch herbei.
Und so trink' ich! Trinke, trinke!
Stoßet an, ihr! Tinke, Tinke!
Du dorthinten, komm heran!
Stoßet an, so ist's getan.

Schrie mein Weibchen doch entrüstet,
Rümpfte diesem bunten Rock,
Und, wie sehr ich mich gebrüstet,
Schalt mich einen Maskenstock.
Doch ich trinke! Trinke, trinke!
Angeklungen! Tinke, Tinke!
Maskenstöcke, stoßet an!
Wenn es klingt, so ist's getan.

Saget nicht, daß ich verirrt bin,
Bin ich doch, wo mir's behagt.
Borgt der Wirt nicht, borgt die Wirtin,
Und am Ende borgt die Magd.
Immer trink' ich! Trinke, trinke!
Auf, ihr andern! Tinke, Tinke!
Jeder jedem! so fortan!
Dünkt mich's doch, es sei getan.

Wie und wo ich mich vergnüge,
Mag es immerhin geschehn;
Laß mich liegen, wo ich liege,
Denn ich mag nicht länger stehn.
Jeder Bruder trinke, trinke!
Toastet frisch ein Tinke, Tinke!
Sitzet fest auf Bank und Span!
Unterm Tisch dem ist's getan.


Sei dennoch von Herzen gegrüßt von Gil.

 AZU20 (24.11.22, 10:46)
Ich bin absolut Deiner Meinung. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 12:19:
Gracias, Armin, ich bin mir sicher, dass du trotz unserer Skepsis die Klassiker ebenso schätzt wie ich.

LG
Ekki

 LotharAtzert (24.11.22, 12:02)
Ach Ekki ...
Weißt du, was Döbereiner mal über die Krebse sagte: "Bei jeder Behörde sollte es einen Extraschalter für Krebse geben, die fühlen sich sonst alldem ausgeliefert." - sinngemäß.

Aber dafür will sie gleich jede Jungfrausachbearbeiterin tröstend umarmen, das sag jetzt ich und das sieht man ja an der Empfehlungsliste. Beim melancholischen Steinock Atzert heißt es dagegen nichts, oder, er sei ein neidischer Troll.
(Als vorklassischer Astromythenentberger gehöre ich zur letzten meiner Art)

Gruß
Lothar

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 12:35:
Hallo Lothar,
mir gefällt deine witzige Charakterisierung der Krebse und son alter Steinbock hat einen besonderen Charme für die, die ihn erkennen.

Schmunzelnde Grüße
Ekki

 LotharAtzert meinte dazu am 24.11.22 um 12:45:
zu den letzten meiner Art, muß es natürlich heißen. Ein paar gibt es immer noch irgendwo ...  <3
Agnete (66)
(24.11.22, 13:42)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Teolein (70) meinte dazu am 24.11.22 um 13:49:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 14:08:
Vielen Dank, Moni, man könnte aufgrund deiner Argumente dazu neigen, schwarz zu sehen. Aber die Pfuscher und Möchtegern-Poeten nehmen unseren Pessimismus nicht ernst, weil sie davon überzeugt sind, nicht dazu zu gehören.
Streiten wir also unverdrossen weiter für die alte Klassik und für das Entstehen einer neuen. Aber wem sage ich das? Du tust es ja ständig mit deinen niveauvollen und mutigen Beispielen.
Liebe Grüße
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 14:17:
@Teolein: Danke, Volker, es ist schon kurios, dass immer mehr Regeln für Zwangsjacken gehalten werden, die die persönliche Freiheit einengen.
Beste Grüße
Ekki

 AngelWings meinte dazu am 24.11.22 um 18:16:
Jeder hat andere Begabung, mir liegt auch keine Gedichte, dafür schreib über Gedanken und Erinnerung, oder Biografie. Ja, und ich hätte gern mir eine fremde Sprache angeeignet, leider konnte ich nie ein lernen.Heute zu Tage ist eine zwei Sprache  wichtig.

Antwort geändert am 24.11.2022 um 18:17 Uhr
Teolein (70) meinte dazu am 24.11.22 um 18:22:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AngelWings meinte dazu am 24.11.22 um 18:29:
Teo, jung🤣! Ja, wird wieder mal jung sein! Mit 52 ,gehört man  schon zu Rentner!
Teolein (70) meinte dazu am 24.11.22 um 18:36:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AngelWings (24.11.22, 17:56)
Literatur wird immer geben, bloß unsere Hobbys wird euren in Akten verschwinden. Es gibt noch anderen Themen uns Land.

 TrekanBelluvitsh (24.11.22, 18:02)
Ich sehe da - man glaubt es kaum - nicht so schwarz wie du. Denn wenn man ehrlich ist, haben, die meisten, die z.B. den Faust in der Schule hatten, nach der letzten Klassenarbeit über das Werk, ihn ganz schnell wieder vergessen - bis sie Jahrzehnte später am Stammtisch über die Jugend von heute lästernd damit angeben, dass sie Faust in der Schule gelesen haben (ganz davon abgesehen, ob sie ihn wirklich gelesen haben, oder nur die Stellen, von denen ihnen der Klassenstreber gesagt hat, dass sie wichtig seien).

Die Wirkmächtigkeit eines Stückes, einer Geschichte, eines Romans von Bedeutung geht jedoch über das Werk selbst hinaus, denke ich. Wichtige Werke inspirieren andere Autoren. Selbst (oder vielleicht gerade) weniger gelungene Adaptionen klassischer Werke, können auf das Original neugierig machen. Das wird natürlich nicht für den größeren Teil der Leserschaft so sein. Nur wer sich wirklich für Literatur und ihre Ursprünge interessiert, kommt dorthin. Aber für wen das nicht gilt, für den hat auch die Schullektüre des Faust keinerlei Bedeutung.

Dabei darfst du auch die Bedeutung der Polkultur nicht unterschätzen. So war und ist für viele Menschen, die angefangen haben, ein klassisches Instrument zu spielen und in ein Orchester einzutreten, die Musik zu den ersten drei veröffentlichten "Star Wars"-Filmen von John Williams ein Ohrenöffner. Und was wäre Williams' Musik ohne Holsts Symphonie der Planeten?

Die Allgegenwärtigkeit der Klassiker mag abnehmen. Allerdings bin ich auch skeptisch, das die meisten, die früher Die Glocke rezitieren konnten, ihre Bedeutung auch verstanden haben. Natürlich müssen auch die Klassiker sich heute ihren Platz mit der aktuellen Kunst und Kultur teilen. Dadurch mögen sie weniger oft in Erscheinung treten. Auf der anderen Seite müssen wir heutigen Künstler*innen auch gestatten, sich auszuprobieren - und auch zu scheitern. Wäre es nicht interessant zu wissen, was der gute alte Homer alles ärgerlich von seiner Wachstafel gekratzt hat, weil er es nicht gut genug fand?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 18:35:
Merci, Trekan, es liegt wohl an unserer bildungsfernen Zeit, dass du als Optimist nicht so überzeugend wirkst wie als Pessimist.
Ich bin ja froh über jedes deiner Argumente als Hoffnungsschimmer, weil ich ja möchte, dass klassische Literatur überlebt. Aber ich glaube, dass es den Klatschaffen, die die dominanten Unterhaltungssendungen mit Lärm erfüllen, piepegal ist, was ein Sophokles oder Goethe geschrieben haben, weil sie sie nie lesen würden, gleichgültig, wie massiv die Hinweise darauf in Filmen und Popkultur sind.
Naja, in ein paar Nischen werden sich vielleicht auch noch ein einigen Jahrzehnten klassische Perlen finden lassen.

 AngelWings (24.11.22, 18:22)
Warum soll Faust aus wendig lernen? Für was? In der Schule ist Grund wissen wichtig, Schreiben und Lesen, und was das Leben bringt. Ich brauch für das Leben keine Faust, Faust kann mich nicht ernähren.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 18:43:
Siehste,  Angel, so wie du denken die Meisten und deshalb vegetiert die Klassik kümmerlich dahin.

 AngelWings meinte dazu am 24.11.22 um 19:14:
Ja, und was habe ich jetzt da von wenn ich Faust auswendig kann? 

Ja, man kann sich mal damit Beschäftigten, darüber lesen, oder schreiben in Leben hilft das nicht weiter. Weil dafür was kannst anderes braucht.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 19:52:
Ja, Angel, erst kommt das Fressen und dann die Kultur, aber wenn der Bauch satt ist, brauchen Herz und Hirn noch etwas anderes. Das muss man freilich nicht auswendig können. bedachtes Lesen reicht.

 HerzDenker meinte dazu am 25.11.22 um 07:13:
Angel Wings, genauso kannst Du fragen, ob man den schönen gerahmten Kunstdruck eines Kandinsky überm Wohnzimmer-Sofa braucht. Der Hirsch am Bergsee lenkt doch auch nach einem anstrengenden Arbeitstag ab. Der Unterschied könnte aber sein, ob wir fein- oder platt-geistig  beeinflusst werden.

Antwort geändert am 25.11.2022 um 14:01 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.22 um 11:28:
HerzDenker, das hast du feingeistig ausgedrückt.

 AngelWings meinte dazu am 25.11.22 um 18:16:
Ja, man hängte kunst in Wohnzimmer um ein Gemütlichkeit zu haben! Aber was hat das mit alt Literatur tun? 

Wie sage habe das auch jung Leute, Literatur anderes erfassen.Und sie möchte für Leben lernen, oder da ein alt Literatur, der heutigen Zeit da hilft. 

Also als Arzt kann bestimmt, Faust zum Heilung, Krebserkrankung gebrauchen? 

Es gibt andere Dinge was ein Mensch lesen und lernen muss! Da gehört, nicht immer alt Literatur, die auswendig lernen soll.

 HerzDenker meinte dazu am 25.11.22 um 18:52:
Moment, liebe AngelWings, hat denn für dich Literatur nicht auch mit Wahrheits-Suche zu tun? Oder mit der nach Authentizität? Doch hoffentlich sehr viel! Und wenn ein Kandinsky, der einiges philosophisch Tiefes zu Obigem in seine Werke hat einfließen lassen, einen Menschen genau dahin zu führen hilft, dann ist das doch auch aus der Sicht anspruchsvoller Literatur eine ehrenwerte Sache!  Und der "Hirsch am Bergsee" verhält sich zu echter Kunst wie der "Musikantenstadl" zu einer Sinfonie der Klassik.

 AngelWings meinte dazu am 25.11.22 um 19:26:
Nicht alten Literatur, kann man Wahrheit finden, sondern in neu Literatur. In alten hat man nie gelebt, und kann Wahrheit nie seh. In neu kann man sehen und er Leben.

Wie ich schon gesagt habe ich gehen an Richtung, von Musik. Musikkantenstadtl gehört leiden nicht in meine Richtung. Und Klassik, und Sinfonie, komm in Frage wenn es auf neu standen ist.

Antwort geändert am 25.11.2022 um 19:31 Uhr

 HerzDenker meinte dazu am 25.11.22 um 20:10:
Da widerspreche ich dir total, liebe AngelWings! Was ist denn für dich der tiefere Grund, dass "neue" Literatur der alten überlegen ist? Dass das Neue dem Alten im Regelfall überlegen sei??Gehst du bei einem touristischen Besuch von Städten auch lieber in die Neustädte, weil Altstädte das Fluidum des Überholten und Halbwahren haben?Da ticke ich wirklich genau umgekehrt. Und meine auch, dies begründen zu können.
Jarina (33)
(24.11.22, 19:30)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.11.22 um 20:24:
Liebe jarina,
ich glaube, dass du meine Gedanken lesen kannst. Seit einigen Tagen denke ich über einen Essay über Shakespeare als den bedeutendsten Klassiker nach. Mit seiner bildkräftigen Sprache und sinnenfrohen Leidenschaft ist er auch den einfachen Lesern verständlich und wird von ihnen geschätzt, falls sie Gelegenheit hatten, mit ihm eine Sommernacht zu träumen. Er weiß halt, wie es gefällt, ohne billig zu werden.
Du erinnerst auch an Orwell. Auch an den musste ich in den letzten  Tagen dauern denken. WinstoSmith möchte ja unbedingt eine nutzlose, aber schöne Glaskugel in der trostlosen Diktatur besitzen. So groß wie seine Sehnsucht nach dem Schönen wird die der Liebhaber von klassischer Literatur sein, wenn diese aus dem kollektiven Bewusst- sein verschwinden sollte oder um  Huxly's "Brave new World" einzubeziehen,  wenn das bewusstseintötende Soma der Unterhaltung  die Sinne für die feinen Reize der Klassik eingeschläfert hat.
Vielen Dank für deinen erhellenden Kommentar und liebe Grüße
Ekki

 AngelWings (25.11.22, 22:02)

 RainerMScholz (28.11.22, 21:48)
In der Illias wurde noch klassisch gekillt, oder im Rolandslied, oder bei den Nibelungen - das lässt sich heute per Knopfdruck erledigen, und zwar weltweit. Wer weiß denn noch, wie eine Fackel ohne Feuerzeug zu entzünden sei, und was ist eine Fackel (außer die Pegida-Typen, die kriegen den Zunder schon an).
Grüße,
R.

 Graeculus meinte dazu am 28.11.22 um 22:01:
Das Thema der "Ilias" ist ja nun nicht, wie man killt, sondern: Zorn, Rivalität, Rache ... und daß es zur Humanität gehört, all dem eine Grenze zu setzen (der Schluß mit der Begegnung von Achill und Primaos). Ist das zeitlos?

 RainerMScholz meinte dazu am 28.11.22 um 22:19:
Aber ein paar Tote gibt es schon, killkillkill, über wieviele 100 Seiten, schließlich wird da jahrzehntelang eine Stadt belagert, oder?! Und Achill und Priamanomonos - nun, das ist ja nicht gerade die promäre Story.

 RainerMScholz meinte dazu am 28.11.22 um 22:26:
Was die jungen Menschen in der Schule vielleicht auch ankotzt, sind Belehrungen von alten weißen Männern, die es irgendwie total verkackt haben.

 HerzDenker meinte dazu am 29.11.22 um 06:20:
Ich habe bei den Klassikern in der Schule gespürt, dass da ein Welt- und Erfahrungsbild durchschimmert, das das wenig überzeugende Gerede der Pastoren übertrifft. Später lernte ich, dass das, was Schiller "das Erhabene" nennt, modernsprachlich als Spiritualität bezeichnet wird.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.12.22 um 11:01:
Hallo Rainer,
ich denke, dass Graeculus das Hauptthema getroffen hat, das zeitlos ist. Es ist wohl unterschiedlich, wie sehr sich Schüler von ihren Lehrkräften abhängig machen. Meine klasse diskutierte Stoffe, die ihr gefielen, egal, wer sie lehrte.
LG
Ekki

 plotzn (29.11.22, 16:40)
Servus Ekki,

ich teile Deinen Pessimismus, dass die Hochzeit der Klassiker vorbei ist und deren Leserschaft mit der Zeit stark zurückgeht oder sogar ausstirbt.
Allerdings besorgt es mich längst nicht so sehr, wie einer der Gründe, die Du dafür aufführst - den Schwund von Moral in der Gesellschaft und der zunemhende Egoismus.
Werte werden kaum durch die Schullektüre im Deutschunterricht vermittelt, sondern durch Erziehung und Vorleben im persönlichen Umfeld.
Meine Prognose ist, dass es anstelle der heutigen Klassiker, die von der Jugend unter anderem deswegen weniger gelesen, weil sie in einer für sie fremden, "verstaubten" Sprache geschrieben sind, neue, moderne Helden der Literatur geben wird. Auch der Deutsch-Lehrplan wird sich ändern, wenn erst mal die heutige Jugend-Generation über das Curriculum bestimmt.
Man kann das für gut oder schlecht halten, aber ich glaube nicht, dass es einen entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftliche Wertevorstellung und den Zusammenhalt hat. Die werden von anderen Faktoren dominiert.

Liebe Grüße
Stefan

 AngelWings meinte dazu am 29.11.22 um 16:48:
Das habe damals meine Tochter, gesehen fande alt Literatur langweilig. Hat umgewandelt in neu Zeit, war sie begeistert, als Bühneshow. Sehe an die jungs die Gedichte, oder alten Vers, Umwandlung in Musikstücke.

 HerzDenker meinte dazu am 29.11.22 um 18:41:
Angel, wenn in dieser neuen Literatur der Geist einer empathischen, vielleicht sogar "höheren" Ethik weht, dann wird ihr das im Leben sicherlich helfen!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.11.22 um 11:46:
@plotzn. Merci, Stefan, wie werden Werte in der Gesellschaft vermittelt? Du hast sicher recht: durch häusliche Erziehung und Vorleben. Aber schulische Erziehung hat die häusliche schon immer ergänzt. Man sollte ihre Bedeutung nicht unterschätzen. Meine Eltern haben ihre Erziehung mit Zitaten aus den Klassikern verbunden. So wirkt bei mir zum Beispiel nach:" Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen"
Liebe Grüße
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.11.22 um 11:49:
@Angel: Wie langweilig klassische Literatur ist oder auch nicht, liegt meistens an den Lehrkräften.
LG
Ekki

 AngelWings (07.12.22, 18:35)
Immer noch, nein nicht wird alles Verbrannt in Städtischen Biotheke.

 harzgebirgler (11.01.23, 10:09)
hallo ekki,

wir mögen uns an klassischem oft reiben
um es modern und zeitgemäß zu treiben
doch wird's ein maßstab wohl auch künftig bleiben!

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.01.23 um 21:34:
Gracias,  Henning,

es wird ein Maßstab bleiben, wenn wir es zeitgemäß deuten können.

LG
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.04.24 um 10:35:
Im November 2022 wurde hier leidenschaftlich diskutiert, ob klassische literarische Werke noch eine Zukunft haben. Ich habe die Beiträge zu meiner Frage noch einmal gelesen und muss sagen, dass sich meine Skepsis vergrößert hat. Die Klassiker, die in den 60er und 70er Jahren immer mal wieder im Abendprogramm der meist frequentierten Sendeanstalten erschienen, sind nahezu verschwunden. Sie werden zwar noch zitiert, aber die Zahl derer, die sie aus eigener Anschauung und Lektüre kennen, wird immer geringer. Ich denke, dass eine kleine Schicht von Bildungsbürgern sie noch weiter tradieren wird, aber ich halte eine breitangelegte Diskussion über die Notwendigkeit ihres Fortbestands in den Bildungsplänen unsere Schulen zwar für angebracht, aber chancenlos.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 11.04.24 um 10:53:
Die großen Klassiker werden von den Verlagen immer wieder neu aufgelegt, weil überarbeitet. Selbst die Haushofer erlebt gerade Aktualität, da eine französische Bloggerin sie entdeckte und darüber schrieb, in Frankreich entstand ein Hype. 
Ich denke, um Klassiker brauchen wir uns nicht sorgen, eher um die jungen Schriftsteller, bei hunderten Neuerscheinungen geht vieles unter.
Nachtrag: Die Antike hat auch immer eine Aktualität.

Antwort geändert am 11.04.2024 um 10:59 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.04.24 um 17:44:
Meine persönlichen Erfahrungen sehen ganz anders aus, Mondi. Ich habe im Cornelsen-Verlag in Berlin die Reihe "Klassische Schullektüre" herausgegeben. Die Reihe hat bisher nur positive Kritik erhalten. Dennoch sinken die Absatzzahlen seit den 70er Jahren rapide. Die Reihe ist mit etwa 70 Titeln sehr breit angelegt und spiegelt repräsentativ die Nachfrage nach den Klassikern.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram