Tödliche Gefahr im Paradies

Erzählung zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Auf der Insel Bora Bora in der polynesischen Südsee habe ich mehrfach geglaubt,
das Paradies auf Erden zu erleben.
Im Garten meiner Pension gab es einen Badesteg, der es ermöglichte, über eine
Trittleiter ins sehr tiefe Meerwasser zu steigen. Als ich sie das erste Mal
nutzte, um zu schwimmen, kam ich gar nicht dazu. Ich war sofort umringt von
mannigfachen farbenfrohen kleinen Fischen, an deren Schönheit ich mich nicht
satt sehen konnte. Sie umschwammen mich ohne das geringste Zeichen von Furcht.
Ich hätte nicht gedacht, dass diese Impression von paradiesischer Friedlichkeit
noch gesteigert werden könnte.
Der Inhaber der Pension fuhr meine Frau und mich auf eine kleine unbewohnte
Insel, ein sog. Motu. Ich habe nie wieder so klare Farben gesehen wie das Weiß
des Strandsandes und die unterschiedlichen Blautöne des Wassers vor dem
Korallenriff, auf das man von dem Motu aus blickte.
Als wir zum Schwimmen ins Wasser gingen, erlebten wir Elysium in Vollendung. Man
hatte einen schmalen Wasserstreifen wie ein Schwimmbecken gegen das Meer
abgegrenzt. In dem schwammen Schildkröten und größere Fische, deren Namen ich
nicht kannte. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass einige von ihnen
einen Spieltrieb zeigten. Als ich von einem Netzende zum anderen schwamm,
glitten sie unter mir auf meiner Bahn und wendeten mit mir am anderen
Netzende. Ich halte es für ausgeschlossen, dass jemand diese Tiere dressiert hat.
Die Lust am Spiel ist nicht auf den Menschen begrenzt und sie ist vielleicht das
Charakteristikum schlechthin des Paradieses.
Am folgenden Tage wurden wir mit einigen anderen Touristen von dem Pensionswirt
zu einer Besichtigungsfahrt in einem kleinen Motorboot eingeladen. Nicht zu
glauben, dass Wasser so durchsichtig sein kann. Man brauchte nicht zu
schnorcheln und konnte bequem vom Boot aus noch in großer Tiefe die Farbenpracht
der Korallen, Wasserpflanzen und Fischschwärme bewundern. Die Gefühle, die uns
bis dahin beseelten, waren Unbeschwertheit und Freude.
Doch jetzt fuhren wir in tiefere Gewässer von tintenblauer Farbe. Der
Bootsführer lenkte unsere Aufmerksamkeit auf eine Plane, die er lüftete. Unter
ihr lagen große Fleischstücke, die er ins Wasser warf. Wie aus dem Nichts
schossen in rasender Geschwindigkeit Haie auf die Fleischbrocken zu, die sie
zerfetzten und gierig verschlangen.
Die kleine Gesellschaft in dem Boot starrte erschrocken auf die animalische
Zerstörung der vorausgegangenen Idylle. Nach der Rückfahrt stellte sich die
Begeisterung für die paradiesische Schönheit der Natur bald wieder ein, doch das
Wissen, dass es auf Erden kein Paradies ohne tödliche Gefahr gibt, blieb
unauslöschlich haften.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (10.02.21)
Nicht in der Natur, eher schon in der Kunst, wo "Harf und Psalter klinget, und man tanzt und singet".

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Merci, Regina, das liegt daran, dass der Mensch in der Kunst nachhelfen kann.
LG
Ekki

 FrankReich (10.02.21)
Ach Ekki, das Paradies ist doch eh nur eine weltfremde Erfindung des Menschen, wenn Du diese Vorstellung z. B. einer Katze nahe zu bringen versuchst, zeigt die Dir garantiert einen Vogel. 😂

Ciao, Frank

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 10.02.21:
Gracias, Frank, der Witz von Katze und Vogel ist gut. Aber ich möchte auf die Utopie von Elysium und Arkadien nicht verzichten.

 franky (10.02.21)
Hi lieber Ekki,

Deine interessante Erzählung zeigt ebenso farbenfrohe Züge, die ich sehr bewundere.
Sehr gerne gelesen.

Herzliche Grüße

Von Franky

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 10.02.21:
Vielen Dank, Franky, Ich habe versucht, die Intensität der Farben zu schildern, obwohl sie meine Fähigkeiten weit übertrifft.
Herzliche Grüße
Ekki

 Dieter Wal äußerte darauf am 10.02.21:
"Ich habe versucht, die Intensität der Farben zu schildern, obwohl sie meine Fähigkeiten weit übertrifft."

Es gelang Dir hervorragend.

 Dieter_Rotmund (10.02.21)
Sehr ordentlich geschrieben, aber das hat so ein leichte Oberlehrer-Attitüde, die mir nicht gefällt.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 10.02.21:
Ich wäre dir für Beispiele sehr verbunden, damit ich lernen kann, wie ich sie zukünftig vermeide.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 10.02.21:
Nun ja, klassisch ist
doch das Wissen, dass es auf Erden kein Paradies ohne tödliche Gefahr gibt, blieb unauslöschlich haften.
Da sollte der Leser ohne Lehrer-Nachhilfe selbst drauf kommen.
Auch weniger blumige Adjektive, mehr deskriptiv und dies in den Protagonisten emotional spiegeln.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Wenn das oberlehrerhaft ist, ist jeder Aphorismus oberlehrerhaft.
Es entbehrt nicht der Komik, vom Oberlehrer dieses Forums oberlehrerhaftes Verhalten bescheinigt zu bekommen. Aber ich sehe das zu kritisch: Von der Tugend, die du selbst im Übermaß besitzt, gönnst du auch anderen etwas, nä.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 10.02.21:
Ja, nur gute Aphorismen sind nicht oberlehrerhaft.

Das verkrampft-pädagogische geht mir allerdings ab, deshalb bin ich nur ein schlechter Oberlehrer.

 Dieter Wal meinte dazu am 10.02.21:
@D_R: Es handelt sich um eine autobiographische Erzählung und keine Reportage. Sonst würde ich Dir darin zustimmen, dass der persönliche Eindruck am Ende überflüssig ist.

Es ist nicht "oberlehrerhaft" (kognitiv-empathisch verarmte Killerphrase), sondern seine persönliche Anmerkung. Das ist für einen autobiographischen Text ok.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 11.02.21:
Von autobio steht da nirgends was.

 Dieter Wal meinte dazu am 11.02.21:
Lesen fördert Lesekompetenz Go on!

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 11.02.21:
Da steht "Erzählung" und es gibt auch keine Anmerkung, die darauf schließen ließe, die Handlung sei nicht fiktiv. Let's do it!

 Dieter Wal meinte dazu am 11.02.21:
Wetten, für Anekdote erschien es Ekki nicht hinreichend geistreich?

Wäre es eine Reportage geworden, dann eine verdammt gute.

Ich fragte Ekki nicht danach, doch nehme an, er erlebte es genau so, wie es dasteht.

Stimmt das, lieber Ekki?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.02.21:
hallo Dieter Wal, du vermutest richtig, dass ich die Bezeichnung Anekdote bewusst vermieden habe. Die Erzählung ist total autobiographisch. Auch damit liegst du richtig.
Für Dieter Rotmund wurde die Arie erfunden "Ja, ich bin klug und weise und mich beträgt man nicht".

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 15.02.21:
Danke für den Hinweis auf die Arie mit dem seltsamen Titel, wo kann man sie lesen?

 Dieter Wal (10.02.21)
Mag die vom Viusuellen bestimmten Naturbeschreibungen. Vielleicht erwähnst Du zusätzlich weitere Sinne? Der Titel ist ideenökonomisch.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Gracias, Dieter, vielleicht gelingt mir bei meiner nächsten Naturbeschreibung eine Synästhesie. Ich will es versuchen.

 harzgebirgler (10.02.21)
die welt ist auch ein haifischbecken
wo sie gern ihre zähne blecken
und unter geldgierdecken stecken.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Vielen Dank, Henning. Die geldgierigen Haifische übertreffen in puncto Gier bestimmt die natürlichen.
LG
Ekki

 eiskimo (10.02.21)
Lieber Ekki!
ich beneide Dich um diese Erfahrung, auch um Deine Fähigkeit, die Schönheit der Schöpfung so überzeugend wiederzugeben. Das hat für mich auch nichts Oberlehrerhaftes, vielmehr kommt bei mir der Appell an, alles zu tun, um dieses Elysium unseren Kindern und Enkelkindern zu erhalten.
Die tödliche Gefahr geht wohl mehr von den Menschen aus.
lG
Eiskimo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Lieber Eiskimo, ich fühle mich voll verstanden und danke dir. Die verschwenderische Pracht der Naturschönheiten auf diesen Inseln lässt einen vergessen, dass auch hier tödliche Gefahren lauern.
LG
Ekki

 GastIltis (10.02.21)
Lieber Ekki,
ich hatte dir ja schon zu deinem letzten Bora Bora Beitrag geschrieben, dass ich zwei Teile eines Vierteilers von 3sat über die Südsee am Sonntag gesehen habe. Die Farbenpracht der Fische, Korallen, Schnecken, Muscheln usw. kann ich nur bestätigen. Dein Erleben des Schwimmens, Spielens miteinander hat mir deine Erlebnisse noch ein Stück näher gebracht als die optischen Szenen. Mit der Darstellung hast du dir den Besuch rückwirkend noch einmal verdient.
Herzlich grüßt dich Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Grazie, Gil, wie schön, dass der Film von 3sat meine Erlebnisse bestätigt.
Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas (10.02.21)
Hallo Ekki,
die Suche nach dem Paradies haben wir im Gepäck, deine Schilderung zeigt es. Es zu finden muss man weit Reisen.
Zu den Gefahren möchte ich sagen, die Natur ist weder gut noch böse, so lange sie im Gleichgewicht bleibt.
Chaos bringt nur der Mensch in die Welt!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Merci, mein Freund, obwohl die Natur weder gut noch böse ist, erscheint sie einemvielleicht doch böse, wenn so ein Hai auf einen zuschwimmt. ;)
Herzliche Grüße
Ekki
wa Bash (47)
(10.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Gracias, wa Bash, du hast das richtige Gespür,. Das Meer in der Nähe unseres Bootes war eher blutrot als tintenblau.
Hilde (62)
(10.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Vielen Dank für dieses schöne Kompliment, Hilde. Das "wunderbar" ist wörtlich zu nehmen; denn die Natur, noch weitgehend sich selbst überlassen, steckt dort noch voller Wunder und macht ihre Beobachter glücklich.
Herzliche Grüße
Ekki
Agnete (66)
(10.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.02.21:
Grazie, Monika, ich kenne Ceylon auch ein wenig und weiß, wovon du sprichst, wenn du dich dort an das Paradies erinnert fühltest.
LG
Ekki
Sätzer (77)
(12.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.02.21:
Merci, Uwe, an bestimmten Orten verbergen sie sich mehr als an anderen.
LG
Ekki

 indikatrix (13.02.21)
Der Text gefällt mir sehr,
der Schrecken und der Schatten,
den er wirft,
liebe Grüße,
Indiaktrix

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.02.21:
Vielen Dank, Indikatrix, der Schatten sollte fühlbar werden.
Liebe Grüße
Ekki
Palytarol (59)
(13.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.02.21:
Hallo Palytarol, deine Tourismuskritik ist hier nicht angebracht... Du weißt vielleicht, dass die polynesischen Südseeinseln am weitesten von Mitteluropa entfernt sind. Weil die Reisen dorthin so teuer sind, gibt es nicht viele Touristen, auch nicht Amerikaner und Australier, und die Bewohner dieser Inseln sind so "verblendet", dass sie auf keinen verzichten möchten .Wirklichen Kolonianismus hat es dort nie gegeben, weil man nichts ausbeuten konnte Deswegen fühlte sich dort Gauguin auch so wohl. Und Kitsch? ich kann nichts dafür. die Natur ist an verschiedenen Stellen der Welt nun mal kitschig. Ich habe nichts ausschmückend hinzu getan.
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